Türkei-Konflikte entladen sich im Klassenzimmer

Umgang mit politischen und religiösen Auseinandersetzungen an Schule und Hochschule

Politische und religiöse Konflikte aus der Türkei spiegeln sich in deutschen Klassenzimmern. Lehrkräfte sind in solchen Situationen meist überfordert und brauchen mehr Unterstützung.
Türkei-Konflikte entladen sich im Klassenzimmer

Foto: Dominik Buschardt

Dass die politische Entwicklung in der Türkei auch in deutschen Bildungseinrichtungen eine Rolle spielt, ist nicht von der Hand zu weisen und bei knapp drei Millionen Türkischstämmigen in Deutschland durchaus nachvollziehbar. Es wird aber gerne vergessen, dass das kein neues Phänomen ist.

Konflikte zwischen religiösen und politischen Gruppen

In den 1990er Jahren gab es bereits an deutschen Hochschulen türkischstämmige religiöse und politische Gruppierungen, die sich spinnefeind waren. Durch die heterogenen Strukturen kamen viele Gruppierungen zusammen: Alevit*innen, Sunnit*innen, Kurd*innen, Marxist*innen, Leninist*innen, Nationalist*innen und viele mehr. In den Schulen war die Situation zwar nicht so differenziert, jedoch gaben Eltern schon einmal ihren Kindern den Rat, sich nicht als Alevit*in oder Kurd*in zu outen, was unter anderem mit der damaligen angespannten politischen Situation in der Türkei zu tun hatte.

In den vergangenen Jahren nimmt die Positionierung wieder zu und führt vereinzelt zu Konflikten. Das hat vor allem mit den aktuellen Entwicklungen in der Türkei und dem damit verbundenen Umgang in Deutschland zu tun. Beispielsweise stürmten im Dezember 2017 an der Universität Bielefeld junge vermutliche PKK-Anhänger*innen eine Veranstaltung der Hochschulgruppe „KulTürk“. Grund dafür war, dass ein externer AKP-naher Wissenschaftler von der Hochschulgruppe zu einem Vortrag eingeladen worden war.

Glaube, Religion und Zugehörigkeit: Druck im Klassenzimmer wächst

Gelegentlich wird auch darüber berichtet, dass in Klassenzimmern der Druck und die Diskriminierung unter den türkischstämmigen Schüler*innen zunehmen, vor allem im Kontext von Glaube, Religion und Zugehörigkeit. Fastet zum Beispiel ein*e Schüler*in während der Fastenzeit nicht, wird er*sie unter Umständen als Ungläubige*r diffamiert oder muss sich rechtfertigen. Paradoxerweise geht aus Befragungen hervor, dass sich die wenigsten Schüler*innen in ihrer eigenen Religion wirklich auskennen. Mit Islamismus hat dieses Verhalten meist nichts zu tun. Eher ist davon auszugehen, dass diese Verhaltensweisen aus dem Umfeld, der Sozialisation und dem Einfluss der Eltern resultieren.

An den Hochschulen sind die Mechanismen dagegen viel subtiler. Die Gruppierungen sind oft unter sich und über Hochschulgruppen organisiert. Dort müssen vor allem die Rektorate die Geschehnisse und die Hochschulgruppen im Blick behalten.

Referendum spaltete die türkische Community

Die Zerreißprobe in der türkischen Community erreichte ihren Höhepunkt 2017 mit der Abstimmung des Referendums und dem vermeintlichen Militärputsch in der Türkei. Durch die unterschiedlichsten Ereignisse wurde es immer schwieriger, sich nicht zu positionieren. Bei der Referendumswahl ging es zum Schluss nur noch um eine Pro- oder Contrastimme für Recep Tayyip Erdoğan. Zwar gab es anschließend einen großen Aufschrei, wie so viele Menschen, die in Deutschland aufgewachsen sind und sozialisiert wurden, dafür stimmen konnten, jedoch keine erkennbare nachhaltige Auseinandersetzung – leider auch nicht in den Bildungseinrichtungen.

Genauso verhielt es sich nach dem vermeintlichen Militärputsch, den Bespitzelungsaffären und weiteren Vorfällen.  Diese Ereignisse haben zu großen Spaltungen innerhalb der türkischen Gesellschaft geführt, so auch bei Schüler*innen und Studierenden.

Lehrkräfte brauchen Hintergrundwissen und Mut

Schade ist, dass viele Lehrkräfte sich davor scheuen, diese Themen in ihren Schulklassen anzusprechen. Mögliche Gründe sind sicherlich die Überforderung mit dem Thema, Angst vor unberechenbaren Diskussionen und deren Folgen und nicht zuletzt der eng gestrickte Zeitplan des Curriculums. Doch genau das darf nicht sein! Je eher in den Schulen die Auseinandersetzung mit religiösen und politischen Themen stattfindet, desto besser können mehrdimensionale Sichtweisen erlernt werden und sich in der Bildungskette nachhaltig etablieren. Klar ist natürlich, dass die Lehrkraft genügend Hintergrundwissen benötigt und es die Möglichkeit geben muss, das Thema in den Unterricht einzubetten.

Allein aus pädagogischen Gründen sollte es in Schulen Raum dafür geben, um sich über aktuelle Geschehnisse auszutauschen, besonders wenn es um wiederkehrende Themen geht. Die Stammtischparole, „das sind Themen, die sich in der Türkei abspielen und interessieren uns hier nicht“, darf nicht unbewusst Einzug in den Schulen erhalten!

Fortbildungen und Unterrichtsmaterial für Lehrkräfte

Es gibt mittlerweile vielerlei Hilfsmaterialien für den Unterricht und Fortbildungen für Lehrkräfte. Zum Beispiel durch den Berliner Verein Ufuq e.V., der bundesweit Fortbildungen gibt und Materialien zur Verfügung stellt. Ebenso das Netzwerk Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage, das ein breites Themenspektrum abdeckt und Handreichung und Unterrichtsmaterialien zur Verfügung stellt. Dabei soll es nicht nur um die türkischen Themen gehen, sondern auch um konfliktträchtige Themen wie den Nahostkonflikt. An den Hochschulen werden die Themen durch öffentliche Diskussionen und Vorlesungen oft aufgegriffen.

Senol Keser, freier Journalist