Woher kommt die Motivation für Warnstreiks?

Mobilisierung: Gegenargumenten begegnen, Solidarität in der Tarifrunde zeigen!

Mit dem Start der Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) am 8. Oktober 2021 rücken auch mögliche Warnstreiks näher. Die GEW-Kampagne #DASGEWINNENWIR wird durch die Tarifrunde begleiten und Motor für die Streiktage sein. Wie mobilisieren sich Gewerkschafter*innen schon jetzt und woher kommt ihre Motivation?
Woher kommt die Motivation für Warnstreiks?

Illustration: GEW

In der Tarifrunde TV-L 2021 werden durch die Corona-Pandamie mögliche Warnstreiks nochmals erschwert. Und schon jetzt werden Fragen lauter, die den Kolleg*innen sowieso vor jeder Tarifverhandlung unter den Nägeln brennen: Wofür soll ich streiken, wenn ich mich in den Forderungen nicht wiederfinde? Wofür soll ich auf die Straße gehen, wenn die GEW in den letzten Runden kaum etwas erreicht hat? Warum soll ich für verbeamtete Kolleg*innen mitstreiken? Als langjähriger Tarifkämpfer liefert Autor Jochen Bauer darauf Antworten.

Warum finde ich mich in den Kernforderungen der Gewerkschaften nicht wieder?

„Ich kann mich in diesen Forderungen nicht wiederfinden“, höre ich häufig. Das ist auch kein Wunder, denn es handelt sich nicht um eine Tarifrunde nur für Lehrkräfte. Der gesamte Öffentliche Dienst der Länder ist betroffen. Es müssen also Gerichtsschreiber*innen, Justizangestellte, das Personal an Landeskliniken und eben auch an Schulen bedient werden. Die Gewerkschaften können also gar keine Forderungen stellen, die spezifisch auf eine Berufsgruppe abzielen.

Weiterhin können nach dem Tarifrecht nur Forderungen zu gekündigten Teilen des Tarifvertrags gestellt werden – und das ist die Entgelttabelle. Alle anderen Forderung wären illegal – darunter eine verbesserte Anerkennung einschlägiger Berufserfahrung wie in § 16(2) TV-L, obwohl gerade in diesem Bereich Verbesserungen notwendig wären. Das heißt aber nicht, dass diese Themen nicht auch in den Verhandlungen angesprochen werden.

Für den Bereich Bildung haben Tarifrunden doch in den letzten Jahren nicht viel gebracht, oder?

„Die GEW hat bisher nicht viel erreicht“ – ein weiteres Argument, das mir häufig begegnet. Doch das Gegenteil ist der Fall! Die GEW hat in den vergangenen Tarifrunden im TV-L für Lehrkräfte viel erreicht: So wurde in den Entgeltgruppen 10 bis 15 die Einführung der Stufe 6 erreicht, die es bei Einführung des TV-L nicht gab. Die Angleichzahlung für Lehrkräfte, die nach EG 11 bezahlt werden, wurde in der letzten Tarifrunde verdreifacht. Die Forderung lag vorher nicht auf dem Tisch, die Verdreifachung entsprang der Dynamik der Verhandlungen.

Wer die Lohnstreifen von 2018 und 2021 nebeneinanderlegt, wird feststellen, dass heute rund 300,- bis 350,- Euro netto mehr auf dem Konto landen als 2018. Erfolgreiche Tarifabschlüsse wie diese gelingen nur gemeinschaftlich!

Warum sollte ich für verbeamtete Kolleg*innen streiken?

„Ich streike nicht für Beamt*innen“ ist für mich das schlechteste Argument, nicht auf die Straße zu gehen. Man streikt immer für die eigenen Belange. Wer aber so argumentiert, hat den ersten Schritt in die Entsolidarisierung getan. Wer meint, sich dem Arbeitskampf entziehen zu müssen, fällt den Gewerkschaften in den Rücken und muss damit rechnen, dass eine Nullrunde zu Reallohnverlusten führt. Darüber hinaus haben die Beschäftigten im Gesundheitswesen unsere Solidarität verdient.

Und wie verhalten sich jetzt die Arbeitgeber*innen?

Die Arbeitgeber*innenseite hat sich seit 2019 eingemauert. Sie verhandelt beispielsweise nicht über die endgültige Verwirklichung der Paralleltabelle, was im Tarifabschluss 2019 aber bereits vereinbart wurde. Sie koppelt – ohne bestehende Vereinbarung – Verhandlungen an Gegenleistungen.

Die Arbeitgeber*innenseite versucht zudem die Gewerkschaften zu erpressen, indem sie Verhandlungen an die Aufkündigung des § 12 TV-L (Arbeitsvorgang) fordert. Für eine Lehrkraft sind das zum Beispiel Arbeitsvorgänge wie Elternbriefe schreiben oder Unterrichtsmaterial kopieren. Das sind Tätigkeiten einer Schreibkraft, die nicht nach EG 11 oder EG 13 bezahlt wird. Die Arbeitgeber*innen möchten die Tätigkeiten vor allem von Leitungspersonal an KiTas „filetieren“, um so Lohndumping betreiben zu können. Dieser Schritt ist nicht nachvollziehbar, da im öffentlichen Dienst tausende Stellen unbesetzt sind.

Vor dieser Gemengelage ist nicht zu erwarten, dass eine Einigung innerhalb der beiden ersten Verhandlungsrunden erzielt werden wird. Umso wichtiger ist es, den Streikaufrufen der GEW zu folgen, wenn es ab November 2021 zu Warnstreiks kommen sollte. Eine Tarifrunde kommt nicht durch gute Argumente zum Abschluss, die alle auf unserer Seite sind. Sondern durch die Wirkmacht der Beschäftigten, die sich durch ihre Streikbeteiligung ausdrücken.

Jochen Bauer, ehrenamtlicher Tarif-Experte der GEW NRW