„Wie war es denn nun in Namibia?“ Natürlich wurde mir diese Frage nach meinem achtwöchigen Aufenthalt häufig gestellt. Und ich habe erzählt von einem bunten Township, lachenden und weinenden Kindern, roter Erde, der Wüstensonne, viel, viel Musik, unzureichender medizinischer Versorgung, scharfen Gewürzen, mildem Pap, schönen Stoffen, Straßenspielen, geselligen Bars und meinem verzweifelten Versuch Zuckerrohr zu essen, um am Ende von den Kindern zu lernen, wie man dabei auch noch cool aussieht.
Jetzt am Schreibtisch, drei Jahre später, fällt mir als erstes das bis dahin unbekannte Gefühl ein, aufgrund meiner Hautfarbe beurteilt zu werden. Und das ständige Bedürfnis, mich erklären zu wollen, ohne zu wissen wofür und irgendwann einfach genervt zu denken: Wäre ich doch bloß einfach wie alle anderen hier.
Praktikum im Township in Namibia
Aber wie kam es eigentlich zu all diesen Erfahrungen? Zum Ende meines Studiums zur Sonderpädagogin bewarb ich mich für ein Praktikum bei dem Verein namibiakids e.V., der eine Kooperation mit der TU Dortmund hat. Bei der Bewerbung und beim Antrag aufs Visum war mir das Referat Internationales der TU Dortmund eine sehr große Hilfe.
Besonders angesprochen hatte mich die Tatsache, dass die Leitung in Namibia mit einer ausgebildeten Erzieherin besetzt sein sollte, die selbst in dem Township aufgewachsen sei. Davon versprach ich mir zum einen, dass die Kinder vor Ort Konstanz trotz wechselnder Praktikant*innen erfahren. Zum anderen gefiel mir, dass das Projekt ausgehend von den Bedürfnissen der Kinder vor Ort gedacht und nicht von einem in Deutschland ansässigen Verein gesteuert wird.
Kinderbetreuung mit Hausaufgaben und Gruppenspielen
Für zwei Monate lebte ich also in Hakasheb, dem zu Usakos zugehörigen Township, in Namibia. Das Projekt war in den Räumen eines ehemaligen Kindergartens eingerichtet, etwa fünf Minuten fußläufig von der Wohnung der Praktikant*innen entfernt. Dort kamen ausgewählte Kinder und Jugendliche der örtlichen Highschool nach Schulende hin und wurden von uns bis zum frühen Abend betreut.
Ich half beim Mittagsessen, begleitete die Kinder bei der täglichen Körperhygiene wie Zähneputzen, duschen und Kleidung waschen und unterstützte bei den Hausaufgaben in Kleingruppen. Ich organisierte außerdem Gruppenspiele, die sowohl pädagogische Ziele als auch die Förderung der englischen Sprachkenntnisse im Blick hatten. Vormittags habe ich die Spiele sowie Übungsaufgaben für einzelne Schüler*innen vorbereitet.
Keine Kooperation, aber Korruption
Leider stellte sich schnell heraus, dass alle Aspekte, die für mich zur Auswahl des Projekts geführt hatten, anders waren als vorher angenommen. Die gesamte Leitung war in den Händen einer deutschen Frau, die keine pädagogische Ausbildung hatte und sowohl mit der anwesenden Erzieherin als auch den Kindern und Jugendlichen einen herablassenden Umgang pflegte. Sie lehnte die Zusammenarbeit mit dem im Township ansässigen Sozialarbeiter ab. Er wiederum zeigte immer wieder Bemühen um Kooperation, genauso wie die Lehrer*innen und die Schulleitung der Highschool.
Meinen Unmut über die Zustände teilte dem Verein namibiakids e.V. mit. Die Kolleg*innen aus Deutschland reagierten sofort und schickten ein Vereinsmitglied, um meinen Behauptungen nachzugehen. Die Veruntreuung von Geldern wurde aufgedeckt und das Projekt in Usakos geschlossen. An anderen Orten ist der Verein noch aktiv.
Auswirkungen der Apartheid sind noch spürbar
Insgesamt aber blicke ich auf wunderbare Erfahrungen zurück: Ich reiste mit meinen pädagogischen Erfahrungen durchaus als „Expertin“ nach Namibia. Dort konnte ich mein Wissen anwenden und merkte schnell, dass sich die Situationen der Kinder und Jugendlichen gar nicht stark von denen der Schüler*innen unterscheidet, mit denen ich in Deutschland arbeite. Aber als Gast durfte ich Familien, Essen, Traditionen, Gottesdienste, Geburtstage, Wochenenden, Musik, Freizeitbeschäftigungen, neue Wörter und Handarbeiten kennenlernen und so in das Land ein wenig anders eintauchen, als ich es als Touristin hätte tun können.
Erschreckend bleibt für mich der Eindruck, dass die Folgen der Apartheid wenig überwunden zu sein scheinen: Die Lebensräume und Freizeitaktivitäten sind immer noch weitgehend voneinander getrennt. Afrikaans ist vorrangige Verkehrssprache und die Jugendlichen haben Schwierigkeiten meine Wertschätzung gegenüber ihren Erstsprachen nachzuvollziehen. Die „Weißen“, die ich getroffen habe, konnten nicht verstehen, wie ich es in Hakasheb aushalten konnte. Und die Bewohner*innen in Hakasheb konnten wiederum nicht einordnen, warum ich als weißes Mädchen kein Auto habe und auf dem lokalen Markt mein Gemüse selbst einkaufe.
Am Ende konnte auch ich meine Hautfarbe nicht ändern, aber je mehr Bekanntschaften ich in Hakasheb gemacht hatte, desto häufiger stand jemand für mich ein, erklärte im Supermarkt oder auf dem Weg zur Näherin, dass ich zwar weiß sei, aber momentan hier wohnen würde. Die Menschen tauschten mit der Zeit skeptische Blicke gegen breites Lachen und einen Handschlag aus.
Bewerbung für einen Auslandsaufenthalt
Folgende Überlegungen kann ich für Interessierte vorab empfehlen: Wie stehst du zur Entwicklungshilfe? Ist die Hilfe in dem Projekt nachhaltig angelegt? Wird das Projekt von Menschen vor Ort entwickelt und geleitet? Möchtest du eine hohe Vermittlungsgebühr zahlen oder einen Spendenzirkel aufbauen, der dem Projekt direkt zugutekommt? Zur persönlichen Vorbereitung hat mir eine Fortbildung zur interkulturellen Kompetenz an der TU Dortmund sehr geholfen.
Annika Lage, Lehrerin an einer Förderschule